Die Geschichte von Michael Leimert
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Das Schicksal eines Herbolzheimer Bauern im Jahre 1808.

Unruhig ging der Schultheiß in der Rathausstube hin und her. Er hatte einen Boten nach Neudenau geschickt, um Weisung zu holen, wie man sich gegen die Franzosen verhalten soll. Spät am Abend kam der Bote wieder zurück.

"Schulz, ich bringe nichts Gutes", sagte er leise."

Der Schultheiß faltete das Schreiben auseinander und las laut vor sich hin: "Auf Befehl des französischen Kommandanten liefert der Ort Herbolzheim innerhalb drei Tagen nach dem Fouragelager in Mosbach: 381 Rationen Fleisch, 371 Rationen Brot, 126 Rationen Heu, 126 Rationen Hafer, 93 Rationen Stroh. Zum Bau der Schiffbrücke über den Neckar zahlt die Gemeinde 3 Gulden, 33 Kreuzer."

Zornig warf der Schultze das Papier auf den Tisch: " Herrgott, wo soll ich das hernehmen ! Unsere Scheunen sind leer. Im Kasten ist kaum noch Mehl. Hafer hat niemand mehr in der Gemeinde ", nach einer Weile nimmt er das Papier wieder in die Hand und liest:

" Werden die Requisitionen nicht Termingemäß geliefert, so soll die Gemeinde ohnweigerlich in eine Straf von 10.000 Gulden genommen werden. "

Noch in dieser Nacht rief der Schultheiß den Rentmeister und die Gerichtsmänner aufs Rathaus. Mit ernsten Gesichtern saßen sie bei flackerndem Kerzenlicht um den Tisch und besprachen die Dinge.

Dann ließ der Schultheiß drei Laternen anzünden. Er selbst ging in der Nacht nach Neudenau, um Hafer zu kaufen. Den Rentmeister schickte er nach Stein, wegen des Fleisches. Und Jörg Heiler weckte den Bäcker, der mußte die Brote backen.

Am nächsten morgen sammelten Schultheiss, Gerichtsmänner und Viertelmeister, was im Dorf noch aufzutreiben war.

Als der erste Wagen beladen dastand, spannte Michael Leimert an und fuhr nach Mosbach.

Im Dorf gab es nur neun Pferde, und für Ochsen war der Weg zu weit.

Michael Leimert hatte vor wenigen Wochen zwei Pferde gekauft.

Das Geld hatte er geliehen und Haus und Hof dafür verpfändet.

Kaum war Michael Leimert von Mosbach zurück, da wurde der Schultheiß nach Neudenau beordert, wegen des Vorspannes, den die Gemeinde den Franzosen stellen mußte. Da der Vorspann hart und drückend war und auf weite Entfernung geleistet werden mußte, konnte man keine Kühe oder Ochsen verwenden.

Das mußten die wenigen Pferde allein tun. Und da Michael Leimert als einziger Bauer noch zwei Pferde hatte, fiel ihm die Hauptlast des Vorspannes zu.

Tag für Tag, Woche um Woche zog er mit den Trosskolonnen der Franzosen durch Dörfer und Städte. Futter und Verpflegung hatte er sich als Frohnbauer selbst zu kaufen.

Wohl wurde ihm eine Vergütung versprochen.

Da aber nach altem Recht die Frohnlast auf dem Frohnvieh ruhte, mußte er als Bauer wieder den größten Teil der Vergütung an die Gemeinde als Umlage zurückzahlen.

Es war Herbst geworden. Eines Tages ließ der Schultheiß, Michael Leimert wegen erneuten Vorspannes aufs Rathaus kommen.

" Michael ", sagte der Schultze, wir müssen morgen wieder vorspannen. Hier ist der Befehl des französischen Majors: vier Kriegswagen von Neudenau bis an den Rhein.

" Michael, du hast als einziger noch zwei Pferde, du mußt wieder mit. ! "

Michael Leimert sieht mit verzweifelten Augen den Schultheiß an:

"Schulz, ich kann nicht mehr. Auf meinen Wiesen steht noch das Gras, auf meinen Äckern die Rüben, die niemand heimfährt. Mein Weib liegt krank in der Stube.

Seit Wochen habe ich nichts mehr verdient, Schulz, ich gehe zu Grund, ich kann nicht mehr"

 

Der Schultheiß legte beschwörend seine Hand auf Leimert's Schulter:

" Michael, ich weiß, du hast im Sommer viel, fast zu viel fahren müssen. Aber schau, auch ich komme meiner Arbeit nicht mehr nach, bin Tag und Nacht wegen der Franzosen unterwegs.

Du weißt, wir stehen alle vor dem Ruin. In der Gemeindekasse wachsen von Jahr zu Jahr die Schulden. Unsere Speicher sind leer. In unseren Ställen steht immer weniger Vieh. Unsere Äcker liegen brach und veröden.

Ehe der eine Krieg zu Ende ist, hat schon wieder ein Neuer angefangen.

Michael, unser Los ist hart.

Aber wir dürfen nicht verzweifeln.

Michael, denk an deine Kinder , an uns alle. "

Niedergeschlagen setzte sich Michael Leimert auf den Stuhl:

" Schulz ich kann nicht mehr ! "

Da richtete der Schultheiß sich wieder auf und sagte mit ernster Stimme:

" Michael, du mußt fahren !! " Wenn du nicht fährst, sind wir alle verloren.

Michael, im Namen der Gemeinde, fahre ! Michael, da lies:" zehntausend Gulden schwerer Straf zahlt die Gemeinde", wenn du nicht fährst. Und da, da steht der Name des Majors.

Michael, sie verkaufen uns Haus und Äcker, sie machen uns bettelarm. Michael, ich bitte dich inständig, im Namen der Gemeinde, Michael fahr !!

Langsam erhob sich Michael Leimert vom Stuhl und schritt mit gesenktem Kopf der Türe zu. Dann drehte er sich noch einmal um und rief zum Schultheiß:

" Schulz, ich fahr, im Namen der Gemeinde ! "

Und Peter Michael Leimert machte wieder Vorspann bei den französischen Truppen.

Sein Hof zerfiel, seine Äcker lagen brach. Gram und Zorn zernagten sein Herz.

Eines Tages wurden seine Güter verkauft. Aus Verzweiflung verließ er das Dorf.

Sein weiteres Schicksal ist uns nicht mehr bekannt.

Am Ende jenes Berichtes stehen noch die Worte:

Sein Weib und seine drei Kinder mußten betteln gehen .

 

Anmerkung von mir :

Die Geschichte geht so weiter, Joseph Michael Peter Leimert * 11.04.1808, Maurermeister, der am 15.07.1834 die Maria Anna Schweiß heiratete, wanderte am 08.03.1851 in die U.S.A. aus.

Er war der Sohn des Ackersmann Peter Michael Leimert * 1782 , der laut Bürgerbuch von 1837 seit 26 Jahren vermißt wurde.

Ich vermute, daß dieser aus lauter Verzweiflung freiwillig aus dem Leben geschieden war.

Zwei Söhne, Ludwig * 15.01.1839 und Wilhelm * 08.02.1836 und Mutter und Schwestern wanderten 1849 ? in die U.S.A / Philadelphia aus. Siehe: Los Angeles

Maria Theresia verheiratete Hofherr, Schwester von Joseph Michael Peter, folgte der Familie 1853.

Meine Tochter Michaela machte mich noch auf einen weiteren Bruder Aufmerksam, Joseph * 17.09.1848, von ihm habe ich weder in Deutschland noch in Amerika bisher ein Lebenszeichen gefunden. Möglicherweise ist er auf der Fahrt nach Amerika gestorben.

Herbolzheim um 1800

Herbolzheim um 1800.

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